6. November 2013
Häufig werde ich gefragt, wie ich zu meiner beruflichen Einstellung gelangte, insbesondere in der "Arbeit" mit Menschen mit schwersten Einschränkungen nach Schlaganfall oder mit fortgeschrittener Demenzerkrankung.
Hier einige Gedanken dazu

Durch meinen Beruf als Krankenschwester komme ich vielfältig in Berührung mit Menschen mit Behinderung bzw. Einschränkung jeglicher Art. Als Krankenschwester war mein Denken und Handeln geleitet aus der Sicht von Kranksein und Hilfebedarf. Je stärker die Einschränkung umso defizitärer die Denkweise und umso abhängiger mein Gegenüber, oftmals gepaart mit der Vorstellung was ich wohl in dieser Phase tun würde. Im Nachhinein finde ich den Ansatz der Auseinandersetzung nicht verkehrt, nur damals blieb ich, bedingt durch meine Denkweise in der Abhängigkeit, die ich erlebte, stecken und diese wollte und will ich nicht. Es gab eine Zeit, dass ich dieses Abhängigkeitserleben ganz schwer aushielt und mit meinem Beruf haderte, vor allem, als scheinbar immer weniger Zeit zur Verfügung stand, unser Tun immer rationeller wurde.
Für mich und meine Berufsausübung zum Glück lernte ich das Förderkonzept Basale Stimulation®, beheimatet in der Sonderpädagogik, kennen.  Die darin verankerte Haltung und Sichtweise eröffnete mir einen ganz anderen Zugang. Im Förderkonzept B.S. wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch, unabhängig seiner Einschränkung, Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit möchte. Ja, das dies ein elementares Grundbedürfnis ist, das wir schon im Säuglingsalter entwickeln, wenn nicht sogar als Basis mit auf die Welt bekommen. Das Umfeld ist mit entscheidend in welcher Art und Weise Fähigkeiten genutzt werden können. Entwicklung geschieht aber vor allem selbstorganisierend im System und eigenständig. Darum brauchen diese Menschen statt Mitleid (und Diskussionen über den Lebenswert in der Situation) Menschen, die ihnen Zutrauen vermitteln und ein Leben in Eigenständigkeit mit der notwendigen Unterstützung ermöglichen. Das Konzept wurde mit seinen Prinzipien und Methoden in die Pflege übertragen und als Pflegeförderkonzept weiterentwickelt.
In meinem Beruf bedeutet dies, pflegerische Tätigkeiten so zu gestalten, dass diese zu einem gemeinsamen Erleben und Miteinander in Eigenständigkeit und Mitbestimmung werden.
Früher musste der Patient mir zur Verfügung stehen, damit ich meine Arbeit tun konnte, bei Ablehnung oder gar Verweigerung war der Patient "schuld", dass ich meine Arbeit nicht erledigen konnte. Mir kam gar nicht die Idee, dass ich mit meinem Tun in die Privatsphäre eines Menschen eindringe, das meine Erwartungshaltung ein zur Verfügung stehen meines Gegenübers voraussetzte und diesem das Recht der Mitbestimmung erst gar nicht zugestand - unbewusst grenzte meine Haltung und mein Tun an Überheblichkeit.
Für mich hat mein Beruf durch das Förderkonzept und vor allem die damit verbundene Haltung an Perspektive gewonnen. Es bedeutet eine Herausforderung – für beide Seiten, immer wieder aufs Neue einen Weg zueinander zu finden, aufeinander „hören“, sich entdecken, sich begegnen. Der Lohn ist gegenseitige Wertschätzung, partnerschaftliches Erleben, ein Miteinander und Begegnung von Mensch zu Mensch – und oft eine unvorhersehbare Entwicklung.